Saxon landen einen Doppelschlag: Mit dem neuen Album SACRIFICE kehren sie zur Härte der Anfangstage zurück. Dazu erschien jüngst ein BBC-Dokumentarfilm, der Licht und Schatten ihrer Karriere zeigt.
»Ich war jung damals“, zuckt Biff Byford mit den Schultern, „es waren schwierige Zeiten…“ Wir sitzen in den großzügigen Räumen der Berliner Dependance einer weltbekannten Gitarrenfirma. Der Sänger von Saxon ist ein imposanter Silberrücken mit langer weißer Mähne, er trägt Jeans und Lederjacke. Biff erinnert sich an die Anfangstage seiner Band, die damals noch Son Of A Bitch hieß. Als junger Mann hatte er seine Frau mit zwei Kindern verlassen. „Man muss Entscheidungen fällen, wenn man in einer Band ist“, erklärt er seine damalige Handlung. Seine Kinder seien inzwischen erwachsen, er habe ganz normalen Kontakt zu ihnen. „Danach gründete ich noch eine Familie, mit der ich vier Kinder habe.“
Die schwere Entscheidung, die Peter Rodney „Biff“ Byford damals traf, steht am Anfang des BBC-Dokumentarfilms „Heavy Metal Thunder – The Movie“, der kürzlich erschienen ist. Er offenbart auch jene Seite des Rock’n’Roll, die Bands für gewöhnlich nicht öffentlich machen. Der Film zeigt zudem, in welch harten Zeiten die Gruppe entstanden ist. In den frühen 80ern erschütterten flächendeckende Streiks Großbritannien, am erbittertsten fochten die Bergarbeiter, um am Ende gegen die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher zu verlieren. „Als ich die Schule verlassen hatte“, so Byford, „wurde ich Zimmermann. Die Lehre dauerte fünf Jahre, doch man verdiente kaum Geld. Nur in den Bergwerken bekam man gutes Geld, also arbeitete ich später in den Kohleminen, um Gitarren kaufen zu können.“ Schon am ersten Tag, den er unter Tage verbrachte, sah er einen Kumpel, dem bei einem Unfall der Arm abgerissen wurde. „Von 1980 bis ‘82 liefen die großen Streiks und Aufstände. Zu der Zeit wurden Saxon und Iron Maiden richtig erfolgreich. Es war die richtige Zeit für eine neue Musik. Unser Publikum bestand aus Jugendlichen, die wenig Geld hatten. Punkrock war immer sehr modebewusst, es kostete viel Geld, sich wie ein echter Punk zu kleiden. Unser Publikum stammte aus der Arbeiterklasse, unsere Klamotten kauften wir in Oxfam-Läden. Wir sahen aus wie Rebellen.“ Die Menschen waren unzufrieden damals, deshalb sei immer eine Menge Polizei auf den Straßen gewesen, weiß Byford zu berichten. „Thatcher war sehr herausfordernd und provokativ. Vielleicht waren die Privatisierungen einiger staatlicher Unternehmen nötig, aber sie war zu radikal.“
In diesem sozialen Klima blühten Saxon auf. Bei ihren Konzerten hatten die Fans ein Gefühl des Miteinander, im Gegensatz zu den Konfrontationen, denen sie in den Straßen und Familien ausgesetzt waren. Die Stärke von Saxon bestand stets in mitreißenden Hymnen. Titel wie ›Motorcycle Man‹, ›747 (Strangers In The Night)‹ oder ›Wheels Of Steel‹ zählten zu ihren frühen Gassenhauern. 1981 gelang ihnen ein Song, der das Erkennungsmerkmal einer ganzen Generation von Metal-Fans beim Namen nannte, sein Titel war so schlicht wie genial: ›Denim And Leather‹, Jeans und Leder. Saxon gehörten zu den Vorläufern der New Wave Of British Heavy Metal, die in Großbritannien und Kontinentaleuropa riesige Erfolge feierte. Die „Power & Glory Tour“ von 1983, mit Accept im Vorprogramm, war Saxons Krönung in den 80ern. Ein junger dänischer Anhänger zählte zu den leidenschaftlichsten Fans von Saxon. Lars Ulrich, heute Trommler der Metal-Titanen Metallica, räumt in der BBC-Dokumentation freimütig ein, dass seine eigene Kapelle nachhaltig von Byford & Co. beeinflusst war.
Wie viele andere europäische Bands versuchten Saxon, auch den amerikanischen Markt zu knacken. Hier regierte Glam Metal, folglich stiegen Saxon in Glitzerklamotten und wandten sich kommerzieller Musik zu. So coverten sie – zur Verblüffung ihrer alten Fans – ›Ride Like The Wind‹ von Christopher Cross. Das Album INNOCENCE IS NO EXCUSE (1985) verprellte mit seinem seichten Material viele Sympathisanten. Das Unternehmen „Durchbruch in den USA“ wurde zum Flop. „Heute können wir in bestimmten Gegenden der USA touren, aber in anderen Ecken haben die Leute noch nie von uns gehört“, bekennt Biff. „Unsere US-Tourneen dauern drei Wochen, was für Amerika nicht besonders viel ist.“
Deutschland war dagegen stets eine Saxon-Hochburg und wurde umso wichtiger, als die NWOBHM in England in den späten 80ern abflaute. „Unsere Musik war nicht mehr angesagt, Bruce Dickinson hatte Iron Maiden verlassen, Judas Priest bekamen Probleme. Bands aus Seattle wie Nirvana und Pearl Jam waren groß, viele Fans wechselten die Seiten und hörten den frischeren Grunge-Sound“, erläutert Biff. „1989 hat uns der deutsche Ableger von Virgin Records angesprochen und wir brachten ein Jahr später SOLID BALL OF ROCK heraus. Das Album wurde sehr erfolgreich, nicht nur in Deutschland, es hat unser Comeback eingeläutet. Motörhead und wir überlebten durch unsere deutschen Fans. 1992 spielten wir zum ersten Mal in Wacken, am Ende der Welt, fast schon in Dänemark. Die Festivalmacher mögen unsere Musik, inzwischen haben wir acht Konzerte dort oben gespielt.“ Die Besucher des Wacken Open Air lieben die unwiderstehlichen Mitgröhl-Hymnen von Saxon, Kracher wie das erwähnte ›Denim And Leather‹, ›Strong Arm Of The Law‹, ›Crusader‹ und ›Heavy Metal Thunder‹ dürfen nie fehlen. Thomas Jensen, einer der beiden Gründer des WOA, ist heute übrigens Manager von Saxon.
Eine anderes, fast unglaubliches Kapitel in der Geschichte von Saxon ist der handfeste Betrug, den ihr ehemaliger Gitarrist Graham Oliver an der Band beging. Auch dieses prekäre Thema wird von der BBC-Dokumentation ausführlich behandelt. Oliver hatte versucht, hinter dem Rücken der anderen Mitglieder die Aufnahmen des klassischen Saxon-Auftritts von 1980 in Donington zu verkaufen. Die Band feuerte ihn auf der Stelle. „Ich habe bis heute keine Ahnung, warum er das gemacht hat. Er hat wohl geglaubt, das wäre kein Grund, ihn rauszuschmeißen. Wir waren Freunde, die durch Höhen und Tiefen gegangen sind. Dann baut der Idiot so einen Bockmist. Er glaubt sogar, dass wir ihn eines Tages wieder aufnehmen würden“, fasst sich Biff an den Kopf. „Er war stets das Spinal Tap-Element in der Band“, urteilt der Frontmann mit den schlohweißen Haaren. Bekanntlich war Harry Shearer, einer der Autoren, Musiker und Schauspieler des Rockumentarys „This Is Spinal Tap“ – wohl die bissigste Rockparodie aller Zeiten – mit Saxon auf Tour gegangen. Viele Ideen zum Film stammen aus dem Alltag von Saxon.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt in der Karriere von Saxon, in dem sich die Band von vielen Kollegen unterschied: Byford & Co. nahmen keine Drogen. Stattdessen tranken sie literweise Tee zu jeder Tageszeit. Ihr damaliger Manager musste ständig Nachschub besorgen, wenn sie auf Tour waren. „Okay, daneben haben wir auch gerne ein Gläschen Wein getrunken, aber ich habe nie Drogen genommen“, bekräftigt Biff. „Sie haben mich nie interessiert. Jemand wie Lemmy von Motörhead, mit denen wir viel unterwegs waren, ist anders als ich. Der nimmt alles Mögliche, aber du merkst ihm das kaum an. Er wird höchstens etwas lustiger. Ich habe mal gesehen, wie er eine ganze Flasche Jack Daniel‘s trank hat und er hat sich nicht wirklich verändert, abgesehen davon, dass seine Witze besser wurden.“
Ein weiteres köstliches Erlebnis von Saxon soll hier nicht ausgespart werden: der Ventilator-Vorfall. In den frühen 80ern spielten die Briten im berühmten Whisky A Go Go am Sunset Strip von Los Angeles. Mit viel Mühe hatte ihr früherer Superfan Lars Ulrich seine blutjunge Truppe Metallica ins Vorprogramm von Saxon geboxt. Es war eine heiße Nacht, der Saal war stickig und Frontmann James Hetfield fragte an, ob man nicht den Ventilator anschmeißen könnte, damit Metallica etwas Kühlung bekämen. Der Saxon-Chefroadie schlug Hetfield die Bitte ab, der Ventilator sei schließlich für die Hauptattraktion bestimmt und nicht für die Vorgruppe. „Davon habe ich nichts gewusst“, beteuert Byford, „das war die Entscheidung unseres Roadies.“ Dennoch ist der „Ventilator-Vorfall“ ein running gag in der Metalszene geworden. Wann immer die Namen Saxon und Metallica zusammen auftauchen, wird diese Geschichte erzählt. „Kürzlich spielten wir Rock am Ring. Nach der Show kamen James und Lars in unsere Garderobe. Wir fühlten uns sehr geehrt! Zusammen haben wir die ganze Nacht gequatscht. Es gibt definitiv kein böses Blut zwischen beiden Bands wegen dieser Sache im Whisky.“
Für Fans von Saxon gibt es noch einen zweiten Grund, aufzuhorchen. Er heißt SACRIFICE und ist das neue Album der Marathon-Metaller. Produziert von Andy Sneap, fällt die Scheibe sehr hart aus, mehrere Songs erinnern an den Thrash Metal früherer Zeiten. „Wir haben die Thrash-Bewegung schließlich beeinflusst“, sagt Biff nicht ohne Stolz. „Damals hatten wir viele Songs mit schnellen, harten Gitarrenriffs, die meist von Paul Quinn stammten. Diese Riffs kannst du bei vielen amerikanischen Thrashbands wiederfinden, die sich mit ihrem Sound gegen die etablierten AOR-Kapellen wandten.“ Thematisch behandelt Textautor Byford eine illustre Reihe von Inhalten. ›Wheels Of Terror‹ etwa, fast eine Industrial-Metal-Nummer, handelt von Panzern. Sie wird übrigens auch im Videospiel „Tank“ zu hören sein. „Die Lyrics basieren auf einem Buch des deutschen Autoren Sven Hassel, der viele Werke über seine Zeit bei der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg geschrieben hat. Eins heißt eben ‚Wheels Of Terror’ [deutsch: ‚Die Galgenvögel’].“ Das AC/DC-beeinflusste ›Standing In A Queue‹ behandelt die Tatsache, „dass wir einen Teil unseres Lebens mit Schlangestehen verbringen. Im Supermarkt, auf dem Flughafen – überall siehst du viele Wichtigtuer, aber wenig Leute, die arbeiten. Also müssen wir Schlangestehen.“ Der Titelsong ›Sacrifice‹ geht zurück auf die Mayas in Mexiko. „Wir waren auf Tour dort und haben die berühmten Ruinen besichtigt. Ein alter Fremdenführer berichtete uns von Massenopfern der Maya. An mehreren Tagen haben sie 20.000 Menschen das pochende Herz herausgerissen, um die Götter zu bewegen, Regen zu bringen. Hat leider nicht funktioniert, die Trockenzeit ging weiter.“
Henning Richter